|Jüngster Tag. Wiederkunft Christi. Tausendjähriges Reich des Friedens. Für Baha’i ist das Ende der Welt schon gekommen, Christus ist wiedergekommen und das Reich des Friedens hat längst begonnen. Häh?
Wie schon in meinem letzten Thread behandele ich in diesem Beitrag die Prophezeiungen einer weiteren Hochreligion über das Kommen einer großen Persönlichkeit: ich beschreibe heute die Bahai-Sicht über das Wiederkommen Jesus Christi. Natürlich wird dies ebenfalls nur ein Text, der oberflächlich dieses Thema bearbeitet.
Jesus sprach zu Seinen Jüngern von einem Geist der Wahrheit, der kommen wird und den Menschen jenes erklären und lehren werde, was sie zur Zeit Christi noch nicht tragen konnten:
Noch vieles habe ich euch zu sagen, aber ihr könnt es jetzt nicht tragen. Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch in die ganze Wahrheit führen. Denn er wird nicht aus sich selbst heraus reden, sondern er wird sagen, was er hört, und euch verkünden, was kommen wird. Er wird mich verherrlichen; denn er wird von dem, was mein ist, nehmen und es euch verkünden.
(Neues Testament, Johannes 16:12-14)
In Seinem „Sendbrief an die Christen (Lawh-i-Aqdas)“ wendet Sich Baha’u’llah direkt an alle Christen und schreibt unter anderem:
Künde den Priestern: Sehet! Er, der Herrscher, ist da. Tritt hinter dem Schleier hervor im Namen deines Herrn, der allen Menschen den Nacken beugt. Künde sodann der ganzen Menschheit die frohen Botschaften dieser machtvollen, dieser ruhmreichen Offenbarung. Wahrlich, Er, der Geist der Wahrheit, ist gekommen, euch in alle Wahrheit zu leiten. Er spricht nicht, wie es Ihm Sein eigenes Ich eingibt, sondern wie es Ihm der Allwissende, der Allweise, gebietet.
Sprich: Dies ist Der, Welcher den Sohn [d.h. Jesus Christus] verherrlicht und Seine Sache erhöht. Werfet von euch, o Völker der Erde, was ihr besitzet, und haltet euch fest an das, was euch geboten ward von dem Allmachtvollen, Der Träger der Wahrheit Gottes ist. Reinigt eure Ohren und richtet eure Herzen auf Ihn, damit ihr den wundersamen Ruf höret, der vom Sinai, der Wohnstatt eures Herrn, des Herrlichsten, erhoben wird. Das wird euch wahrlich der Stätte nahebringen, wo ihr den Glanz vom Lichte Seines Antlitzes über diesem leuchtenden Horizont strahlen seht.
(Botschaften aus ‘Akká 2:12f.)
Baha’u‘llah beansprucht also Selbst, dieser Geist der Wahrheit zu sein. Jesus Christus sagte, dass dieser Geist der Wahrheit Ihn verherrlichen werde (Joh 16:14). Baha’u’llah schrieb über Jesus in einer Seiner Tafeln:
Wisse, daß die ganze Schöpfung in großer Trauer weinte, als der Menschensohn [Jesus Christus; vgl. Mt 9,6; Mt 20,28 in der Bibel] Seinen Geist zu Gott aufgab. Doch indem Er sich selbst opferte, wurde allem Erschaffenen eine neue Fähigkeit eingehaucht. Die Beweise dafür sind in allen Völkern kund und heute vor dir offenbar. Die tiefste Weisheit, welche die Weisen zum Ausdruck bringen, die gründlichste Gelehrsamkeit, die Menschengeist entfaltet, die Künste, welche die fähigsten Hände gestalten, der Einfluß, den die mächtigsten Herrscher üben, sind nur Offenbarungen der belebenden Macht, die Sein überragender, Sein alldurchdringender und strahlender Geist entfesselt hat.
Wir bezeugen, daß Er, als Er in die Welt trat, den Glanz Seiner Herrlichkeit über alles Erschaffene ergoß. Durch Ihn wurde der Aussätzige vom Aussatz der Verderbtheit und Unwissenheit befreit. Durch Ihn wurden der Unkeusche und der Widersetzliche geheilt. Durch Seine Macht, aus dem allmächtigen Gott geboren, wurden die Augen des Blinden geöffnet und die Seele des Sünders geheiligt.
(Baha’u’llah, Ährenlese 36:1f.)
|Jesus wies Seine Jünger und damit alle Seine Anhänger daraufhin, dass sie wachsam sein sollten, denn Er werde ‚in der Herrlichkeit des Vaters‘ wiederkommen (Matthäus 16:27), aber zugleich wie ein Dieb in der Nacht erscheinen:
Seid also wachsam! Denn ihr wisst nicht, an welchem Tag euer Herr kommt.
Bedenkt: Wenn der Herr des Hauses wüsste, zu welcher Stunde in der Nacht der Dieb kommt, würde er wach bleiben und nicht zulassen, dass man in sein Haus einbricht. Darum haltet auch ihr euch bereit! Denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, in der ihr es nicht erwartet.
(Neues Testament, Matthäus 24:42-44; ebenso Lukas 12,39-40)
|Im 19. Jahrhundert war die Erwartungshaltung vieler Christlicher Kirchen, Gemeinschaften und Sekten auf die Wiederkunft Christi besonders hoch. Besonders um das Jahr 1844 erwarteten viele das Wiederkommen Christi (‚Dieb in der Nacht‘, William Sears), doch als das Jahr verging und die erhoffte Wiederkunft Jesu ausblieb, wurde Unmut groß und die Christen hörten zunehmend auf, auf Jesu‘ Wiederkunft zu warten. Dabei lehrte Jesu doch Selbst, dass Er wie ‚Dieb in der Nacht‘ wiederkommen werden. Ein Dieb in der Nacht kommt unerwartet (zeitlich als auch örtlich) und mehr oder weniger heimlich. Nur, wer genau darauf achtet, bemerkt ihn.
Im Jahre 1844 verkündete der Báb Seine Offenbarung und zugleich das Kommen eines noch größeren Offenbarers. Er verkündete im damaligen Persischen Reich das Kommen eines Größeren als Er Selbst und betitelte sich deshalb als ‚das Tor‘ (arabisch الباب al-Bāb) und wies damit hin, dass Er trotz der Größe Seiner Offenbarung nur Vorbereitung Dessen ist, Den Gott offenbaren wird. Dieser Große sollte Baha’u’llah sein.
Der Báb wurde für Seine Lehren, die Er mit 25 Jahren verkündete, im Alter von 31 Jahren hingerichtet. Er ist teilweise vergleichbar mit Johannes dem Täufer, da Er eine Funktion als Vorbote für Baha’u’llah innehatte. Gleichzeitig war Er, im Gegensatz zu Johannes dem Täufer, Träger einer eigenständigen Offenbarung. Der Báb und Baha’u’llah werden deswegen als die Zwillingsoffenbarer bezeichnet. Dies bestärkt die Bedeutung der beiden Offenbarungen und das religionshistorisch einmalige sehr zeitnahe Auftreten zweier sich gegenseitig anerkennender Offenbarer und Ihrer sich ergänzender Offenbarungen.
|Jesu Wiederkunft soll laut Bibel einhergehen mit dem Jüngsten Tag sowie der Errichtung des Tausendjährigen Reiches des Friedens unter Jesu Herrschaft. Für Baha’i ist klar, dass der Jüngste Tag schon gekommen ist und das Reich des Friedens schon da ist. Dies erscheint für viele jedoch unlogisch, da die Welt doch immer noch existiert und Kriege immer noch von statten gehen.
Doch für Baha’i bedeutet der Jüngste Tag nicht das wörtliche Ende der Welt, sondern das Ende eines Zeitalters und der Beginn eines neuen Zeitalters. Die Menschheit tritt in das Alter der Reife ein, was für Baha’i durch die vielen Entwicklungen und Veränderungen im technischen, wissenschaftlichen, gesellschaftlichen, politischen und in anderen Bereichen in den letzten zwei Jahrhunderten versinnbildlich wird. Die Alte Welt ist sozusagen untergegangen bzw. ist noch dabei, unterzugehen, während die Neue Welt mit neuen Denkweisen, neuen Erkenntnissen und neuen Lösungswegen dabei ist, zu entstehen. Gleichzeitig sieht man überall noch die Reste der Alten Weltordnung, die sich bspw. in Dingen wie Vorurteilen, Fanatismus, Kriegen, sozialer Ungerechtigkeit äußert.
Baha’i glauben auch nicht daran, dass das Tausendjährige Reich des Friedens mit einem Fingerschnipp sozusagen erscheint und uns Menschen auf einem goldenen Tablett serviert wird. Viel eher sendet uns das Göttliche die Werkzeuge, um selbst dieses Reich des Friedens aufzubauen. Nur, wenn wir als Menschen diese Werkzeuge nutzen, können wir dieses Reich errichten. Würde das Friedensreich errichtet, ohne dass wir als Menschen dafür tun müssten, würde dies unser Recht auf freien Willen untermauern. Friede kann nicht errichtet werden, wenn nicht alle ihn wollen. Da Gott den Menschen mit einem freien Willen ausgestattet hat und diesen anerkennt, würde Er nichts tun, was uns diesennehmen könnte. Deshalb ist es jedem Menschen selbst überlassen, die Werkzeuge und Ratschläge zur Errichtung des Weltfriedens zu ergreifen und zu nutzen.
|Das Universale Haus der Gerechtigkeit, das höchste gewählte Gremium der Bahai-Gemeinschaft, schrieb so in „Die Verheißung des Weltfriedens“:
Weltfrieden ist nicht nur möglich, sondern unausweichlich. Er ist die nächste Stufe in der Evolution dieses Planeten. […]
Ob der Frieden erst nach unvorstellbaren Schrecken erreichbar ist, heraufbeschworen durch stures Beharren der Menschheit auf veralteten Verhaltensmustern, oder ob er heute durch einen konsultativen Willensakt herbeigeführt wird, das ist die Wahl, vor die alle Erdenbewohner gestellt sind.
(Die Verheißung des Weltfriedens)
Dies ist der Grund, weshalb sich die Bahai in vielen Gremien, Projekten und Organisationen für Frieden, gegen Vorurteile sowie für soziale und ökologische Belange einsetzen und hoffen, dadurch die zweite Möglichkeit zur Errichtung dieses Friedens zu erreichen.
Bereits im 19. Jahrhundert forderte Baha’u’llah:
Die Zeit muß kommen, da die gebieterische Notwendigkeit für die Abhaltung einer ausgedehnten, allumfassenden Versammlung der Menschen weltweit erkannt wird. Die Herrscher und Könige der Erde müssen ihr unbedingt beiwohnen, an ihren Beratungen teilnehmen und solche Mittel und Wege erörtern, die den Grund zum Größten Weltfrieden unter den Menschen legen.
(Baha’u’llah, Botschaften aus Akká 11:8)
|Für Baha’i, unter denen auch eine große Zahl ehemaliger Christen ist, ist das Kommen Baha’u’llahs gleichzusetzen mit der Wiederkunft Christi (auch wenn nicht von einer leiblichen Wiederkunft, sondern einer geistigen Wiederkunft gesprochen werden sollte) und die Bahai-Offenbarung wird gesehen als die Erfüllung des Christentums.
Demzufolge wenden sich Christen, die Baha’i werden, nicht von Jesus Christus ab, sondern sie wenden sich Ihm viel eher neu zu. Auch Baha’i, die aus einem Jüdischen, einem Buddhistischen oder einem Atheistischen Hintergrund kommen, anerkennen Jesus Christus als Gottesoffenbarer und Seine Lehren als heilig, indem sie Baha’u’llah als Offenbarer für dieses Zeitalter anerkennen.
George Townshend, Domherr der St.-Patricks-Kathedrale in Dublin, schrieb folgende Worte in das Vorwort in seinem Werk ‚Christus und Baha’u’llah‚:
Das Kommen des Königreiches Gottes auf Erden ist in allen geoffenbarten Weltreligionen gleichbedeutend mit dem Erscheinen des höchsten Welterlösers, des Herrn der Heerscharen, die wiedergekehrten Christus, des Qá’im, des Neuen Buddha. „Eine Herde und ein Hirte“ sollen an die Stelle der vielen sich widerstreitenden und voneinander getrennten Menschengruppen treten. Diese außerordentliche Verheißung, die ursprünglich vor vielen tausend Jahren ausgesprochen wurde, hat keiner der großen Propheten aufgegriffen, bis im neunzehnten Jahrhundert Bahá’u’lláh, der Begründer des Bahá’í-Glaubens, den Machthabern und religiösen Führern der Welt verkündete, dass Er dieser Erlöser und Träger der göttlichen Botschaft an den modernen Menschen sei.
George Townshend war der erste geweihte Christliche Priester, der sein Gelübde brach, um Baha’i zu werden.
| Natürlich muss jeder Mensch selbst prüfen, ob Baha’u’llah die Wiederkunft Christi in der Herrlichkeit des Vaters ist. In der Bibel wird vor falschen Propheten gewarnt, die wie Wölfe im Schafspelz sind. Jesus lehrt:
Hütet euch vor den falschen Propheten; sie kommen zu euch wie (harmlose) Schafe, in Wirklichkeit aber sind sie reißende Wölfe. An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen. Erntet man etwa von Dornen Trauben oder von Disteln Feigen? Jeder gute Baum bringt gute Früchte hervor, ein schlechter Baum aber schlechte. Ein guter Baum kann keine schlechten Früchte hervorbringen und ein schlechter Baum keine guten. Jeder Baum, der keine guten Früchte hervorbringt, wird umgehauen und ins Feuer geworfen. An ihren Früchten also werdet ihr sie erkennen.
(Neues Testament, Matthäus 7,15-20)
So soll jeder Mensch selbst, frei von positiven wie negativen Vorurteilen sowie unabhängig von Freunden, Bekannten, Priestern, Autoren und anderen prüfen, ob der Anspruch Baha’u’llahs rechtens ist oder nicht.